Übersetzen vs. Dolmetschen: Berufe im Vergleich

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Dr. Alexandra Berlina

Links sitzt eine Übersetzerin am Computer; rechts ein Dolmetscher in einem Headset

Die Übersetzerin und der Dolmetscher

Ich wollte ja schon immer übersetzen, am liebsten Bücher, die ich selbst gern lese. Seit 2020 bin ich genau dort, wo ich sein wollte: Seit dem Glücksfall mit „Dem Meister und Margarita“ übersetze ich vor allem Romane, Kurzgeschichten und Erzählungen, die mir wirklich Spaß machen – mit Dialogen! und Humor! und Wortspielen! und Sprachbildern! und Lautmalereien! Manchmal darf es sogar Lyrik sein.

Pavel hingegen wollte schon immer dolmetschen, am liebsten simultan oder bei Verhandlungen. Blöderweise war er besonders bis 2020 genau dort, wo er sein wollte: auf Konferenzen und Meetings, deutschlandweit und international – und zwar zu spannenden Fragen! mit interessanten Menschen! und abwechslungsreichen Themen! und dem Adrenalin entscheidender Verhandlungen! Manchmal stand er auch beratend zur Seite und wurde wirklich Teil des Teams.

(Wer Pavel und mich kennt, fragt sich vielleicht, warum eine etwas sehr extrovertierte Alexandra lieber im stillen Kämmerlein schriftlich übersetzt und ein etwas sehr introvertierter Pavel lieber für echte 3D-Menschen mündlich dolmetscht. Das fragen wir uns auch. Tiefenpsychologische Thesen sind in den Kommentaren willkommen!)

Dann kam Corona. Mit dem Live-Dolmetschen war es erstmal vorbei, bald kam aber das Remote-Dolmetschen. Man könnte sich ja denken: Super, man sitzt an seinem Rechner in Krawatte und Unterhose und kann in aller Ruhe simultan dolmetschen. In Wirklichkeit ist das technisch aber nicht die perfekte Lösung, und vor allem vermisst der passionierte Dolmetscher die Menschen (und die Häppchen)! Als Corona gerade abgeklungen war, kam schon der Krieg in der Ukraine. Mitten im fassungslosen Doomscrolling schrieb Pavel noch schnell an all seine Kunden in Russland, dass er nicht mehr für sie dolmetschen wird, dann wurde er schon ins Fernsehstudio herbeigerufen, wo er den nächsten Monat lang Presskonferenzen aus dem Russischen simultan verdolmetschte. Inzwischen übersetzt er meist deutsch-englisch, vor allem in juristischen Kontexten wie depositions – und selbst das macht ihm mehr Spaß als das Übersetzen!

Das verstehe ich nicht.

Ich dolmetsche hin und wieder ja auch, vor allem im Bereich Kultur & Co; unter Menschen zu sein ist schon schön, und auf der Bühne zu dolmetschen auch. (Nicht zu vergessen: die Häppchen!) Aber Übersetzen ist doch der wahre Genuss.

Vergleichen wir doch!

Das Übersetzen und das Dolmetschen

Ich beschränke mich mal auf drei Vorteile des Übersetzens:

Eine komplizierte, aber schöne Uhr

Mehr Zeit zum Nachdenken und Nachschlagen

Wer konsekutiv dolmetscht, kann nicht kurz ins Wörterbuch schauen; beim Simultandolmetschen hat man oft nicht mal den Luxus, einen Satz zu Ende zu hören. Das ist heikel, gerade wenn man aus dem Deutschen dolmetscht, wo ganz am Schluss plötzlich ein „…nicht“ kommen kann. Als Übersetzerin hingegen kann man nicht nur googeln, sondern auch tagelang nachdenken und sich mit Kollegys beraten.

Silhouette einer Übersetzerin

Freiheit bei der Planung

Klar, manchmal übernehme ich auch sehr dringende Übersetzungen – aber meistens, und gerade bei Büchern, kann ich als Übersetzerin frei entscheiden, wann ich arbeite. Wenn am Dienstag die Sonne scheint und es am Samstag regnet, arbeite ich eben mehr am Samstag und gönne mir am Dienstag einen Spaziergang. Als Dolmetscher muss Pavel zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.

Ein Buch, dass das Ergebnis des Übersetzens symbolisiert

Ein Ergebnis zum Anfassen

Gut, das Anfassen bezieht sich jetzt nur auf Bücher (und Broschüren, und Kunstkataloge) – aber selbst wenn man nichts Physisches in der Hand hat, ist der übersetzte Text meist irgendwo in der Welt. Nach dem Dolmetschen aber bleibt selten etwas zurück; es sei denn, man dolmetscht für die Medien.

Fairerweise müssen auch drei Vorteile des Dolmetschens her:

  1. Keine Möglichkeit zu prokrastinieren. Gut, die Vorbereitung auf den Dolmetscheinsatz könnte man vor sich her schieben – aber wenn gedolmetscht wird, dann wird gedolmetscht!
  2. Man ist als Dolmetscher unter Menschen und hat im Idealfall auch ein Teamgefühl.
  3. Häppchen!

Ich merke gerade, richtig fair ist meine Gegenüberstellung nicht. Wenn ein junger Mensch sich hierher verirrt, der sich gerade entscheiden will, ob nun Übersetzen oder Dolmetschen der bessere Beruf ist, wird er unverschämt manipuliert – ich bin nun mal leidenschaftliche Übersetzerin. Hoffentlich melden sich auch mündliche Sprachmittler zu Wort und liefern mehr Argumente fürs Dolmetschen!

Eine Antwort

  1. Ich habe am Anfang meiner Karriere echt intensiv und oft gedolmetscht, v. a. im technischen Bereich. Mittlerweile mag ich Übersetzen viel mehr, weil ich den Winter gerne im Süden verbringe und sonst viel unterwegs bin. Im technischen Bereich tue ich dolmetschen aber immer noch lieber.
    Als junger Mensch würde ich mich aber erstmal überhaupt nicht festlegen bzw. entscheiden, das ergibt sich irgendwann von selbst.

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